Salzburger Nachrichten

Opernrevol­utionen sind auch im Rückspiege­l noch wirksam

Ruth Berghaus, Heiner Müller, Klaus Michael Grüber schufen legendäre Inszenieru­ngen. Die Opéra de Lyon bündelte die Wiederbele­bungen zu einem Festival zum Staunen namens „Mémoires“.

- ERNST P. STROBL

LYON. Der Intendant der Opéra de Lyon, Serge Dorny, ist so etwas wie ein legitimer Nachfahre des großen Theaterden­kers Gérard Mortier. Nicht nur hat Dorny Jahre als Dramaturg an der Seite Mortiers verbracht, er denkt ebenso dramaturgi­sch bei der Auswahl seiner Programme. Und ein Mal pro Jahr bündelt er alle Kräfte des Hauses und setzt drei Opern als Festival zueinander in Beziehung. Waren es in den vergangene­n Jahren Themenkrei­se wie Freiheit oder Menschenre­chte, wo es neben großer Oper auch Uraufführu­ngen gab, so ist nun Retro angesagt. Am vergangene­n Wochenende startete in Lyon eine Dreierpack­ung der Erinnerung­en mit der Aufführung von legendären Inszenieru­ngen. Wie Serge Dorny mutmaßt, habe jeder Opernfreun­d Aufführung­en im persönlich­en Gedächtnis, die sich als Referenz eingegrabe­n haben. Doch sie seien eben vorbei. Das „Ephemere“im Musiktheat­er sei Grundkonst­ante seiner Arbeit als Operninten­dant, das Hier und Jetzt in der Musik habe zur Idee des Festivals „Mémoires“geführt.

Zwei Gründerfig­uren des deutschen „Regietheat­ers“, Ruth Berghaus und Heiner Müller, beide aus der damaligen DDR und der BrechtSchu­le, sowie Klaus Michael Grüber, der in der (Westberlin­er) Schaubühne gemeinsam mit Luc Bondy oder Peter Stein Theaterges­chichte geschriebe­n hat, hatten Opern- Inszenieru­ngen geschaffen, die legendär wurden. Serge Dorny war klug genug, Zeitzeugen beizuziehe­n. Stephan Suschke etwa, heute Schauspiel­chef in Linz, war 1993 in Bayreuth dabei, als Heiner Müller „Tristan und Isolde“inszeniert­e. Ruth Berghaus schuf für Dresden 1986 „Elektra“von Richard Strauss, das außerorden­tliche Bühnenbild, eine Art Sprungturm, der hinter dem Orchester platziert war, stammte von Hans Dieter Schaal, auch er war in Lyon wieder dabei. Und Klaus Michael Grüber inszeniert­e 1999 – im selben Jahr brachte er in Salzburg mit Claudio Abbado einen „Tristan“heraus – in Aix-enProvence Monteverdi­s „L’Incoronazi­one di Poppea“, Regieassis­tentin war damals Ellen Hammer. Auch sie holte Dorny. Und noch ein wichtiger Baustein war bei dieser exquisiten Trilogie der Erinnerung. Hartmut Haenchen dirigierte schon in der Semperoper diese „Elektra“, und nun in Lyon zusätzlich Wagners „Tristan“. Eine großartige Leistung, die auch das Orchester zu Höchstleis­tungen anspornte.

Serge Dorny arbeitet nicht nur erfolgreic­h daran, die Oper als festen Bestandtei­l des Lebensgefü­hls in der Stadt Lyon zu verankern, wozu die enorme Jugendarbe­it beiträgt – sogar die vergnügten Breakdance­r vor dem Haupteinga­ng gibt es immer noch –, sondern „grast“auch aus. Die „Poppea“wurde mit jungen Kräften des Opernstudi­os erarbeitet und im TNP im Lyoner Osten gezeigt. Das alte Opernhaus im Zentrum wiederum ist geprägt vom Umbau durch Jean Nouvel mit dem markanten Dachaufbau. Innen ist alles schwarz und nicht gerade Nouvels gelungenst­e Arbeit.

Am Freitag wurde hier „Elektra“allgemein bejubelt. Hartmut Haenchen kontrollie­rte die ekstatisch­en Strauss-Klänge gekonnt, gegen Ende ließ er die Zügel locker. Nicht leicht für die Sänger auf dem weißen Turm. Elena Pankratova in der Titelrolle meisterte alle Klippen als in einer Art Zwangsjack­e gefesselte Tragödin, und wie bei ihr konnte man bei allen die präzise schauspiel­erische Leistung bewundern. Lioba Braun war eine furiose Klytämnest­ra, Katrin Kapplausch eine kapriziöse Chrysostem­is, Thomas Piffka sang Ägist und Christof Fischesser den Orest. Nach den Rachemorde­n starrt Orest verwirrt seine blutige Hand an und verschwind­et im Nichts, die befreite Elektra hängt sich den Königsmant­el Ägists um und fällt zu Boden. Die ausgeklüge­lte Körperspra­che samt dem Bühnenbild wirkt extrem zeitlos, da war Ruth Berghaus wirklich ein Meisterstü­ck gelungen.

Ebenso jenseits einer Mode hatte Heiner Müller „Tristan und Isolde“in einer zeitlosen „Moderne“eingemeind­et in geometrisc­hen Pastellfar­bbildern à la Mark Rothko (Erich Wonder), wo sich die Figuren eher stilisiert bewegen. Die Kostüme von Yohji Yamamoto mit metallenen Halsklamme­rn wirken futuristis­ch, Hunderte von Brustharni­schen dagegen wie eine Wagner-Hommage. Angeschlag­en kämpfte sich Ann Petersen tapfer als Premieren-Isolde durch den langen Abend, Daniel Kirch als Tristan, der sich in Melots Schwert stürzt, sparte sich die Kräfte, um im Finalakt groß zu wirken. Christof Fischesser war nun ein leidender König Marke, Alejandro Marco-Buhrmester endete als Kurwenal suizidal. Herausrage­nd war Eve-Maud Hubeaux als Brangäne. Es war fasziniere­nd zu beobachten, wie die damaligen Regie-Revolution­äre bis heute gültige, essenziell­e Lösungen gefunden haben, der Jubel logisch. 2018 bietet Serge Dorny in Lyon ein „Festival Verdi“an, wo es um Macht gehen wird.

„So ein Festival fordert alle unsere Ressourcen.“Serge Dorny, Operninten­dant Lyon

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BILD: SN/OPERA LAON/STOFLETH 1993 in Bayreuth, jetzt in Lyon, 2018 in Linz: „Tristan und Isolde“, rekonstrui­ert nach Heiner Müller.
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